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Fragen zur Fotografie ...

Frage / Antwort


"Wie hängen Brennweite, Sensor und Verwacklung zusammen?"



Stefan Rogmann:

Hallo,

zu den Brennweiten der Objektive und das ganze Umrechnen habe ich mal eine Frage, weil ich dies ziemlich verwirrend finde.

Ich habe mir vor einigen Wochen ein größeres Teleobjektiv zugelegt, ein Sigma 120-400mm. Zusätzlich befindet sich in der Modellbezeichnung das Kürzel DG, was laut Sigma aussagt, dass dieses Objektiv auch für das digitale Vollvormat bzw. Kleinbildformat geeignet ist.
Bereits hier frage ich mich, wie das kann, sind doch der Vollformatsensor und der APS-C Sensor unterschielich groß. Sind die aufgedruckten Brennweiten für beide Sensoren identisch oder muss hier schon umgerechnet werden?

Zwei Wochen später habe ich mir, ebenfalls von Sigma, ein Weitwinkelobjektiv 10-20mm gekauft. In der Bezeichnung befindet sich das Kürzel DC, was laut Sigma darauf hindeutet, dass dieses Objektiv nur für APS-C Sensoren geeignet ist, Ich habe zwei Spiegelreflex-Kameras mit Cropfaktor 1.5

Nun habe ich mal gehört, dass sämtliche Brennweiten umgerechnet werden müssen auf Kleinbildformat, also auch die Brennweiten meines Weitwinkelobjektivs, um den Bildausschnitt vergleichbar zu machen.

Auch der Bildwinkel würde dies beeinflussen, sodass mal die verwendeten Brennweiten absolut gelten, andererseits aber auch für das Kleinbildformat umgerechnet werden müssen um den gleichen Bildausschnitt zu bekommen. Verstehe ich nicht wirklich!

Diese Zusammenhänge möchte ich schon gerne richtig verstehen, um die maximale Belichtungszeit für meine beiden Crop-Kameras zu ermitteln.

So hatte ich vor einiger Zeit mal an einem Abend etwas über hundert Fotos freihändig mit meiner kleineren Spiegelreflexkamera gemacht und Zeiten von 1/8 Sekunde bis zu 1/2 Sekunde eingestellt.
Das Objektiv hatte eine Brennweite von 18-70mm, keinen Bildstabilisator. Die Folge waren meist leicht unscharfe Bilder, was mich sehr frustrierte.

Zunächst habe ich als Formel den Kehrwert der Hälfte der Brennweite als maximale Belichtungszeit erfahren, also beispielsweise bei 200mm Brennweite 1/100 Sekunden.

In Ihrem Fotolehrgang schreiben Sie dazu aber Folgendes:
"Eine Faustregel besagt, dass die Belichtungszeit (in Sekunden) nicht länger sein sollte als der Kehrwert der kleinbildäquivalenten Brennweite (in Millimeter)." So sinngemäß steht es auch im Handbuch meiner Kamera.

Diese Formel ist mir auch lieber, da sie als Ergebnis kürzere Belichtungszeiten hervorbringt als die Formel mit der halben Brennweite. Daher möchte ich diese auch weiterhin anwenden.

Ich muss dazu aber die Sache mit den Brennweiten, deren Umrechnung und die Sache mit dem Bildwinkel besser verstehen.

Grǘße

Stefan Rogmann



Antwort:

Anmerkung:
Das sind mehrere miteinander zusammenhängende Fragen, das wird deshalb jetzt auch eine "etwas" längere Antwort. ;-)

Hallo Stefan,

danke für Deine Frage. Das ist ein Thema, das sicherlich viele interessiert, lass uns das mal etwas gründlicher klären.

Für die Gestaltung eines Fotos ist die Wahl des Standortes, des Aufnahmezeitpunkts und der technischen Einstellungen der Belichtung wichtig. Aber auch der verwendete Bildwinkel (gerade auch in Zusammenspiel mit dem Aufnahmeabstand) hat großen Einfluss auf die Wirkung des Bildes.
Dieser im Foto sichtbare Bildwinkel wird in erster Linie von zwei Faktoren bestimmt. Zum einen wird er vom maximal nutzbaren Bildwinkel des Objektives begrenzt und zum anderen von der Größe des Ausschnitts, den der Sensor aus diesem vom Objektiv erzeugten Aufnahmebildwinkel erfasst.
Und damit sind wir beim Thema Deiner Frage.

Bildkreis

Objektive haben runde Öffnungen und erzeugen in der Kamera ein kreisrundes Abbild des von ihnen gesehenen Moitivausschnittes, den sogenannten Bildkreis. Diese Bildkreise können (müssen) je nach Kameratyp, für den die Objektive gedacht sind, unterschiedlich groß sein. Der Bildkreis, der für einen größeren Sensor reicht, deckt natürlich den kleineren Sensor sowieso ab, deshalb ist in Deinem Fall das "Vollformatobjektiv" (DG-Kennzeichnung) automatisch für kleinere Formate auch geeignet.

Das Motiv und der Ausschnitt, den das Objektiv daraus sieht, der Bildkreis
Der wiedergegebene Bildausschnitt wird sich aber unterscheiden, je nachdem, welche Sensorgröße Du verwendest.

Es gibt zwei Gründe für diesen Unterschied im Ausschnitt, zum einen der Einfluss der Brennweite des Objektivs, zum anderen der Einfluss der Größe (Fläche) des Aufnahmesensors


Bildwinkelbegrenzung durch das Objektiv

Innerhalb ihres Bildkreises geben Objektive mit kürzerer Brennweite (Weitwinkel) einen größeren Motivausschnitt wieder als Objektive mit längerer Brennweite (Teleobjektive). Im größeren Motivausschnitt werden die vielen Details des Motivs kleiner dargestellt, im kleineren Motivausschnitt die wenigen Details dagegen größer.

Bildwinkelbegrenzung durch das Sensor

Die (Aufnahme-)Sensoren der Kameras sind meist rechteckig und so werden dann natürlich auch die Fotos erst einmal rechteckig.
Der vom Objektiv erzeugte Bildkreis sollte größer sein als die Aufnahmefläche des Sensors. Denn sonst kommt es zu Vignettierungen (Abdunklungen) in den Ecken und evtl. sogar an den Bildrändern. Der Durchmesser des Bildkreises sollte also größer sein als die Diagonale der Fläche des Sensors.
Der Sensor dagegen darf ruhig kleiner sein als der Bildkreis, denn in dem Fall wird einfach nur ein Teil des Bildkreises (und damit des Bildwinkels), den das Objektiv erzeugt, erfasst. Je kleiner dabei die Sensorfläche ist, desto kleiner ist der Ausschnitt, den der Sensor aufzeichnet.

Unterchiedlich große Sensoren sehen unterschiedliche Ausschnitte aus dem Bildkreis des Objektivs
Das Objektiv gibt also den maximal möglichen Bildwinkel vor, die Größe des Sensors bestimmt daraus den im Bild wirksamen Bildwinkel. Bei kleinen Sensoren wird der wirksame Bildwinkel auch bei Einsatz eines Objektiv mit großem erfassten Aufnahmewinkel immer kleiner, er nutzt nur ein Teil des Bildkreises des Objektivs.

Warum sind die Sensoren nicht alle gleich groß?

Digitale Aufnahmesensoren sind kostspielig und mit der Größe der Sensorfläche steigen die Kosten überproportional. Deshalb war es gerade zum Beginn der Entwicklung eines Massenmarktes in der Digitalfotografie fast nur möglich, mit kleinen Sensoren zu fotografieren. Und das galt auch für die ersten DSLRs. Auch sie hatten im Verhältnis zum bis dahin üblichen Kleinbildfilms kleine Sensoren. (Vollformatsensoren gab es zwar, die damit ausgerüsteten Kameras waren für die meisten aber unerschwinglich.)

Die Macht der Gewohnheit.

Im Bereich der Amateurfotografie war zu analogen Zeiten ein Filmtyp (und damit quasi eine "Sensor"-größe) extrem weit verbreitet. Der Kleinbildfilm mit einer Bildaufzeichnungsfläche von 24mmx36mm beherrschte den Fotomarkt.
Wenn der Sensor immer die gleiche Größe hat, kann man seinen Einfluss auf den abgebildeten Bereich des Motivs, auf den im Bild sichtbaren Bildwinkel vernachlässigen. Und das tat man auch.
Man unterschied die Ausschnitte, die Objektive mit unterschiedlichen Brennweiten erzeugten, nicht nach dem Bildwinkel, sondern nach der Brennweite. Die konnte man ja sehr einfach auf dem Objektiv ablesen.
Und das war auch völlig in Ordnung, den die Sensormaße als mögliche Einflussgröße für den Bildwinkel blieben ja zwischen den verschiedenen Kleinbildkameras unverändert. Über die Jahre weg hat sich bei den Fotografen (Profis und Amateure) der Zusammenhang zwischen Brennweite und Blickwinkel eingeprägt. Kürzer als 50mm war Weitwinkel, länger als 50mm war Teleobjektiv. Ein 35er war ein 35er, ein 200er ein 200er, egal an welcher Kleinbildkamera es eingesetzt wurde.
Mit den ersten DSLRs mit kleineren Sensoren funktionierte das nicht mehr. Man konnte die Objektive zwar weiter verwenden, aber durch die kleineren Sensoren war der im Foto wirksame Bildwinkel auf einmal keiner als es die Erfahrung mit Kleinbildkameras erwarten liess.

Dieser kleinere Ausschnitt entsprach dann einer um den Größenfaktor des Sensors verlängerten Brennweite am Kleinbildfilm. An einem um den Faktor 1,5 kleineren (als Kleinbild) Sensor (der typische APS-C Sensor) wurde ein Bildwinkel erzeugt, der an Kleinbild mit der 1,5fachen Brennweite erzeugt würde. Da die meisten Fotointeressierten nicht in Winkeln sondern der Einfachheit halber immer noch in Brennweiten "fühlten" und dachten und gestalteten, sprach man vereinfachend (fälschlicherweise) von "Brennweitenverlängerung".

Der kleinere Sensor sieht einen engeren Ausschnitt, beim größeren Sensor benötigte man für den gleichen Ausschnitt eine längere Brennweite
Diese Bezeichnung ist natürlich Unsinn, denn die Brennweite ist eine typische Eigenheit des Objektives. Und das Objektiv weiß ja gar nicht, das in der Kamera ein kleinerer Sensor ist, wie soll sich da seine Brennweite verändern. Aber es ist nachvollziehbar, dass man diese Vereinfachung der Darstellung gewählt hat. Oft wurde auch der viel passendere Begriff der "gefühlten" Brennweite verwendet.

Quintessenz:

Solange der Bildkreis groß genug ist, kann man jedes mechanisch passende Objektiv verwenden. Den vollen Bildwinkel des Objektivs erreichen aber nur Kameras mit einem Sensor passender Größe. Kleinere Sensoren geben kleinere Bildwinkel wieder, die an Kameras mit größeren Sensoren nur mit längeren Brennweiten erzeugt werden könnten.

Welches Objektiv wofür?

Aus Preisgründen(?) entwickelten die Firmen Objektive, deren Bildkreis ausschließlich nur noch für das kleinere Sensorformat ausreichte. Diese Objektive waren gerade zu Anfang der Entwicklung in erster Linie die einfachen preiswerten "Kit-Zooms", die zusammen mit den Einsteigerkmaeras verkauft wurden.
Ihr Bildkreis war (manchmal auch nur angeblich?) zu klein für den Sensor/Film einer Vollformat/Kleinbildkamera. Diese Objektive konnten (sollten?) deshalb nur an Kameras mit der kleineren Sensorfläche verwendet werden. Bei einigen Herstellern bekamen diese Objektive sogar ein spezielles Bajonett, so das sie sich mechanisch nicht an die großen Kameras anbringen liessen. Und in den Typenbezeichnung wurde mit Kürzeln wie "E-FS" "FX" etc. darauf hingewiesen.

Und die Verwacklungsgrenze?

Die Verwacklungsgefahr steigt mit längerer Brennweite an, da der erfasste Bildwinkel kleiner wird und die Motivdetails somit vergrößert abgebildet werden. Dadurch würde auch die sichtbare Auswirkung eines Verwackler vergrößert und deutlicher sichtbar.
Zu Kleinbildzeiten gab es eine Daumenregel, um die Freihandgrenze oder Verwacklungsgrenze zu finden. Man nahm einfach den Kehrwert der Brennweite. So erhielt man zum Beispiel mit einer Brennweiten
Die "Formel" passt oft ganz gut, ist aber trotzdem nur Pi*Daumen. Manche Leute verwackeln dann schon, andere können noch deutlich längere Zeiten aus der Hand halten.
Dieser Berechnung liegt der Kleinbildfilm zugrunde, für einen Vollformatsensor kann man sie also 1:1 übernehmen.

Aber für einen kleineren Sensor muss man umrechnen.
Die Verwacklungsgefahr bleibt zwar erst einmal gleich, da ja der vom Objektiv erfasste Blickwinkel bei kleinerem Sensor trotzdem der gleiche ist.
Wenn aber das Bild, das mit der Kamera mit kleinerem Sensor aufgenommen wurde, aufs gleiche Endformat (DIN-A4, Monitorgröße, ...) kommen soll, muss es dafür stärker vergrößert werden. Dadurch würden Verwackler mit vergrößert und deutlicher sichtbar.
Um das auszugleichen, verkürzt man die zulässige längste Belichtungszeit, indem man vor der Berechnung der Freihandgrenze die Brennweite (in mm) mit dem Vergrößerungsfaktor multipliziert, bei ASP-C also mit 1,5.
Ein 200er Fernobjektiv hat dann an Kleinbild/Vollformat eine Verwacklungsgrenze von 1/200stel, an APS-C Sensoren dagegen von 1/300stel (200*1,5).

UEine Anmekrung zur Vignettierungsproblematik

Objektive deren Bildkreis gerade eben so ausreicht, um den kompletten Sensor auszuleuchten können (speziell bei den großen Blendenöffnungen) mehr oder weniger stark vignettieren.
Das ist ein typischer Fehler, der verstärkt bei Weitwinkel-Objektiven aufzutreten scheint. Doch nicht jeder Fehler ist auch wirklich ein Nachteil.

Die modernen Bildbearbeitungsprogramme, speziell RAW Konverter wie das von mir hauptsächlich eingesetzte – genauer Lightroom Classic CC(*) – können diese Fehler zwar automatisch und präzise abgestimmt auf das jeweilige Objektiv mehr oder weniger vollständig beheben.

Aber bei machen Bildern fällt im direkten Vorher/Nachher-Vergleich auf, dass eine Vignette aus gestalterischen Gründen manchmal sehr nützlich sein kann. Sie hält den Betrachter länger im Bild. Wir meiden scheinbar instinktiv das Dunkel und bleiben in der helleren Bildmitte. Und das kann ja durchaus erwünscht sein.

Aus diesem Grund haben machen Programme (wie eben Lightroom(*) ) sogar eine Funkion um bewusst eine Vignette zu einem Bild hinzu zu fügen. (Damit das auch bei Bildausschnitten klappt darf man den Vignettenbereich der Objektivkorrektur dafür nicht zweckentfremden. Der würde nämlich nur an den ursprünglichen Ecken wirksam und einen Beschnitt ignorieren.

Ich hoffe, ich konnte das Thema ausreichend erklären.

Viel Spaß beim Fotografieren und viele unverwackelte Fotos,
Tom!

P.S.:
An der Stelle darf ich vielleicht noch ein bisschen Eigenwerbung machen:
Diese Themen Brennweite, Crop- Faktor, Sensorgröße, Verwacklung, Auswirkung der Brennweite auf die Bildgestaltung etc. sind ein wichtiger Teil meiner Fotokurse zu den Grundlagen der Fotografie, die ich an der Fotoschule-Ruhr.de im Bereich Grundlagenkurse anbiete.